Als Buzz Aldrin der Urinbehälter riss: Ben Moores Biografie des Mondes - WELT

2022-01-25 10:28:53 By : gongxian zheng

D ie längste Zeit, die Menschen zu ihm aufgesehen haben, ist der Mond eine fahle Uhr am Himmel gewesen. Die frühesten Darstellungen der Mondzyklen sind rund 30.000 Jahre alt; Menschen haben sie in bleiche Knochen geritzt: „Mond“ und „Monat“ bedeuteten lange ein- und dasselbe.

In der Schöpfungsgeschichte, die Sumerer und Babylonier erzählten, war der Mondgott, Herr der Nacht, auch der Herr des Kalenders. „Sechs Tage lang sollst du Hörner aus Licht zeigen, am siebten soll deine Krone vollendet sein“, so hat es ihm Marduk, Sohn der Sonne, aufgetragen.

Mondkalender und Sonnenjahr allerdings stimmen nicht überein: Wer auf den Mond allein zählt, erntet irgendwann im Winter. Der Mond also fordert seit je die Fantasie heraus: Um seinetwillen erfanden Menschen einen 13. Monat ebenso wie die mehrstufige Rakete.

Liest man die neue „Biografie“ des Mondes, die der britische Astrophysiker Ben Moore geschrieben hat (Kein & Aber, 320 Seiten, 24 Euro), scheint er lange so etwas wie ein Traumfänger gewesen zu sein, der über uns am Himmel hängt, die bösen Träume abwehrt und die schönen nimmt. Dichter finden über den Mond zu großer Form. Astronomen finden über den Mond zum Dichten.

Um die Zeit, als Galileo den Mond aus der Ferne kartierte, bürgerte sich der Name „mare“ für die dunklen Stellen auf der Mondfläche ein. Nur deshalb betrat Neil Armstrong 1969 keine Wüste, sondern ein „Meer der Stille“.

Der Danziger Astronom Johannes Hevelius, der 1647 eine Mondkarte zeichnete, glaubte dort oben Moore, Meere, Seen und Inseln zu sehen. Seine Teleskopröhre aus Holz und Draht maß beinahe fünfzig Meter und hing an einem langen Pfahl. Betrachtet man die zeitgenössischen Darstellungen, sieht sie wie eine Fantasie von Jules Verne aus.

John Wilkins, einer der Begründer der britischen Royal Society, glaubte fest, dass der Mond von „Seleniten“ bewohnt würde, und selbst noch hundert Jahre später war sich sein deutsch-britischer Kollege William Herschel „absolut sicher“, dass der Mond bevölkert sei.

Er hielt ihn auch für bewaldet und suchte die angeblichen Wälder nach darin verborgenen Mondstädten ab, in denen „Lunarier“ lebten, die der geringeren Schwerkraft wegen sechsmal größer als Menschen seien.

Irgendjemand kam sogar auf die Idee, in der sibirischen Tundra mit Tannen den Satz des Pythagoras darzustellen, um den Lunariern den hohen Grad menschlicher Intelligenz zu offenbaren. Zweifler wie der Niederländer Christiaan Huygens (1629 bis 1695) hingegen wurden lange nicht gehört.

Oft zählte einfach der schönere Traum, und das galt auch für die Science-Fiction, die den Mond in Schwanenwagen oder, wie Cyrano de Bergerac, mit Feuerwerk erreicht. Jules Verne nimmt 1865 eine Kanone, denkt sich aber immerhin als Erster eine Art Raumkapsel aus.

Manchmal liest sich Ben Moores Buch über den Mond tatsächlich so, als wäre es die längste Zeit darum gegangen, schöne Träume gegen neue Erkenntnisse zu verteidigen. In H. G. Wells’ „Die ersten Menschen auf dem Mond“ von 1901 finden die Himmelsfahrer zwar die sprichwörtliche Mondlandschaft vor, eine öde, pockennarbige Wüste, tief im Innern des Erdtrabanten aber wartet das Versprechen einer sensationellen Insektenzivilisation.

Dringender noch als die faszinierenden Theorien zur Entstehung der Gezeiten oder des Mondkörpers selbst haben die Menschen offenbar eine lunare Spiegelwelt gewollt, zur Not auch wider besseres Wissen.

Als sich etwa John Herschel, Sohn des eben erwähnten William, mit seinem Teleskop nach Kapstadt aufmachte, um den Mond von der Südhalbkugel aus zu sehen, nutzte ein Reporter der „New York Sun“ die Gunst seiner Abwesenheit für eine Artikelserie, die als „Großer Mondschwindel“ in die Zeitungsgeschichte eingegangen ist. Herschel, so berichtete 1833 leider nicht nur die „New York Sun“, habe auf dem Mond Berge aus Amethyst, fliegende Einhörner und Affenmenschen mit Fledermausflügeln gesehen.

Die Geschichte der Mondlandung wird meist als Geschichte eines Menschheitstraums erzählt, der 1969 endlich in Erfüllung ging. Tatsächlich ließe sich Apollo 11 auch als große Ernüchterung beschreiben.

Was Neil Armstrong im Meer der Stille sagte, weiß jedes Kind; was Buzz Aldrin sagte, dem auf dem Mond auch noch der Urinbehälter riss, wird weit zögerlicher überliefert. „Wunderschön, wunderschön“, meldete er an Mission Control. „Herrliche Verwüstung.“

Fliegen ist sein Leben – und die Mondlandefähre war das verrückteste Gefährt, das er je steuern durfte. Doch aus seinem großen Traum von der Mondlandung wurde nichts. „Das Schicksal hatte andere Pläne“, sagt Bill Anders noch heute mit Bedauern.

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